Inhalt der temporären Änderungen
Die Bundesregierung hat per Sanierungs- und insolvenzrechtliches Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG) nun temporäre Anpassungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht beschlossen, die ab dem 09.11.2022 gelten und bis zum 31.12.2023 befristet Geltung behalten werden.
Die Kernpunkte der nunmehr geltenden Neuregelungen im Insolvenzrecht sehen folgende wesentliche Anpassungen vor:
- Die Antragsfrist für die Insolvenzantragstellung wegen Überschuldung gem. § 19 InsO wird verlängert
Die Antragsfrist für die Stellung eines Insolvenzantrags wegen Überschuldung wird bis zum 31.12.2023 von derzeit sechs auf acht Wochen hochgesetzt.
Insolvenzanträge sind jedoch weiterhin ohne schuldhaftes Zögern zu stellen (§ 15a Absatz 1 Satz 1 InsO). Die Höchstfrist darf nicht ausgeschöpft werden, wenn zu einem früheren Zeitpunkt feststeht, dass eine nachhaltige Beseitigung der Überschuldung nicht erwartet werden kann.
Die Höchstfrist zur Antragstellung wegen Zahlungsunfähigkeit bleibt unberührt.
- Der Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung wird verkürzt
Die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung nach § 15a InsO wird somit modifiziert. So wird der Prognosezeitraum für die sogenannte insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung (Fortbestehensprognose) von bisher zwölf auf vier Monate herabgesetzt. Hierdurch wird die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung noch weiter abgemildert. Dies soll auch für Unternehmen gelten, bei denen bereits vor dem Inkrafttreten des SanInsKG eine Überschuldung vorlag, der für eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung maßgebliche Zeitpunkt aber noch nicht verstrichen ist.
- Die Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen werden verkürzt
Die maßgeblichen Planungszeiträume für die Erstellung von Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen werden bis zum 31.12.2023 von aktuell jeweils sechs auf ebenfalls vier Monate verkürzt.
Ist die Antragsfristverlängerung wegen Überschuldung sinnvoll?
Eine Fristverlängerung um zwei Wochen nach Kenntnis der Überschuldung von sechs auf acht Wochen scheint zunächst sehr milde gewählt und bedeutungslos. Berücksichtigt man aber die mit einer Verschleppung verbundenen Haftungsrisiken der Geschäftsführung, stellt die Fristverlängerung ein adäquates Mittel dar, in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, Unternehmer einen etwas weiteren Spielraum zu gewähren – auch wenn sich dieser Spielraum zu Lasten der späteren Insolvenzschuldner entwickeln kann.
Berücksichtigt man allerdings weiterhin die Tatsache, dass ca. 90 Prozent aller Insolvenzanträge wegen (drohender) Zahlungsunfähigkeit gestellt werden, wird deutlich, dass die neue Fristenregelung für die allermeisten Unternehmen in der Krise kaum Änderungen mit sich bringt.
Aus praktischer Sicht ist dann ohnehin fraglich, ob es tatsächlich Unternehmer gibt, die in der bisherigen Sechs-Wochen-Frist die Überschuldung der Gesellschaft nicht bemerkt haben, dies dann aber in den darauf folgenden zwei Wochen realisieren werden.
Es handelt sich somit um eine eher zu vernachlässigende Änderung, auch wenn es sicher eher positive Effekte geben wird – zumindest auf Seiten der Unternehmer.
Ist die Anpassung des Prognosezeitraums für die Überschuldungsprüfung sinnvoll?
Ziel soll sein, die Unsicherheiten, die eine mittel- bis langfristige Planung selbstredend immer mit sich bringt, zu mindern und dadurch die Geschäftsführung und die mit einer zur Erstellung einer Fortbestehensprognose beauftragten Berater, geringen Haftungsrisiken auszusetzen.
Außerdem könnten bei Vertiefung der allgemeinen Schieflage der Wirtschaft, kurzfristige Hilfspakete und Liquiditätsspritzen zu einem Erhalt der Zahlungsfähigkeit in den kürzeren Planungszeiträumen eher helfen.
Dies birgt aber nun mal die Gefahr, dass Unternehmen, die mittel- bis langfristig zahlungsunfähig werden, zunächst eben keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen müssen, da eine kurzfristige Planung eine entsprechende Zahlungsfähigkeit ausweist, obwohl eine langfristige Betrachtung ein ganz anderes Bild zeigen würde. Es wird viele Unternehmen geben, die aufgrund eines um zwei Drittel verkürzten Prognosezeitraums eine positive Fortbestehensprognose plausibel begründen können, obwohl eine langfristige Betrachtung über zwölf Monate zu einem ganz anderen Ergebnis führen würde.
Dies wiederum kann zu unnötigem Verzehr der Insolvenzmasse führen, die den Gläubigern zusteht. Kommt es zu geringeren Insolvenzquoten oder gar späteren Totalausfällen, sind Folgeinsolvenzen im Kreise der Gläubiger zumindest wahrscheinlicher.
Es stellt sich somit natürlich die Frage, ob ein solcher Effekt wirklich gewünscht war. Klar ist, dass in unsicheren Zeiten eine belastbare Prognose immer schwieriger wird, je weiter der Prognosezeitraum greift. Doch führt die Verkürzung des Prognosezeitraums zu schwerwiegenderen Folgen, die eine so einschneidende Verkürzung unserer Meinung nach kaum rechtfertigt. Eine mildere Verkürzung wäre unserer Meinung nach treffender, da die Konsequenzen aus der jetzigen Situation kaum absehbar sind.
Sind die Anpassungen der Planungszeiträume für Eigenverwaltungs- und Restrukturierungsplanungen sinnvoll?
Zunächst ist festzuhalten, dass die Verkürzung um zwei Monate hier milder gewählt wurde, als beim Prognosezeitraum der Überschuldungsprüfung im Zuge der Fortbestehensprognose.
Auch hier kann man als Ziel erkennen, dass die Berater, welche eine solche Planung aufstellen, haftungstechnisch geschützt werden und die Verkürzungen zu einer plausibleren Planung führen sollen.
Aus rein systematischen Überlegungen sind wir der Meinung, dass gerade bei der Beantragung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung ein Zeitraum von lediglich vier Monaten unbrauchbar ist, da mit der Planung über sechs Monate in der Regel das vorläufige Verfahren über drei Monate und das eröffnete Verfahren über drei Monate dargestellt wird. In diesem Zeitraum fallen wesentliche Verfahrenskosten an, die es zu berücksichtigen gilt. Beschränkt man die Planung nun auf vier Monate, wird folglich nur das vorläufige Verfahren plus ein Monat eröffnetes Verfahren abgebildet. Ein unserer Meinung nach unvollständiges Bild, das im späteren Verlauf des Verfahrens zu Irritationen führen kann, wenn die Kosten des Verfahrens höher sind, als die liquiden Mittel es zulassen. Ein zwanghafter Wechsel in ein Regelinsolvenzverfahren könnte die schmerzliche Konsequenz sein.
Wir bewerten diese Änderung als äußerst kritisch und sehen in unseren Verfahren vom Gebrauch ab, nicht zuletzt da bereits manche Richter und Sachwalter ihr Unverständnis zu dieser Regelung geäu0ßert haben.
Ein möglicher Rückgang von Insolvenzen wird lediglich künstlich erzeugt
Die aktuelle Sorge vieler Unternehmer, die jetzt bereits durch die hohe Inflation ihre Preise erhöhen müssen, sind die steigenden Energiepreise. Es kommt in vielen Branchen ein Punkt, an dem die erhöhten Kosten nicht weiter von den Kunden übernommen werden können, was zu Umsatzeinbrüchen führt. Eine Überschuldung kann die Konsequenz sein, da die Planungen mit äußerster Vorsicht aufgestellt werden müssen. Verkürzte Planungszeiträume können hier sicher Abhilfe schaffen, gerade wenn das Unternehmen noch über Rücklagen verfügt, die ggfs. einen Zeitraum von 4 Monaten überbrücken können.
Es scheint also erst mal so, als wäre das Unternehmen solide aufgestellt. Bei näherer Betrachtung muss aber ggfs. festgestellt werden, dass das Unternehmen nach Verzehr der Rücklagen keine Chancen mehr hat, erfolgreich am Markt zu agieren und so oder so Insolvenzantrag stellen muss. Dies geschieht in der Regel dann später auch, allerdings erst nach Verzehr der Rücklagen zu Lasten sämtlicher Gläubiger.
Auch wenn der Gesetzgeber mit den temporären Änderungen vermeintliche Erleichterungen gerade im Bereich der Beraterhaftung zu schaffen scheint, sollte allen Beteiligten eins klar sein:
Im Falle einer späteren Insolvenz des Unternehmens, das dann ggfs. die Masse verzehrt hat, wird ein Insolvenzverwalter Haftungsfragen und Vertiefungsschäden prüfen – egal, welche Fristen gelten.
Erhöhtes Haftungspotential bei Überschuldungsfeststellung
Infolge des BGH-Urteils IX ZR 285/14 vom 26.01.2017), das mittlerweile durch eine Gesetzesänderung zu Beginn des Jahres 2021 in § 102 StaRUG verankert wurde, erhöht sich das Haftungspotential bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, wenn bei einer Kapitalgesellschaft im Rahmen der Jahresabschlusserstellung eine bilanzielle Überschuldung festgestellt wird und keine Prüfung erfolgt, ob es sich dabei auch um eine insolvenzrechtliche Überschuldung im Sinne des § 19 InsO handelt.
Krisenfrüherkennungspflichten nach § 102 StaRUG
Mit in Kraft treten des SanInsFoG wurde bei offenkundiger Annahme, dass dem Mandanten eine mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist, eine Hinweis- und Warnpflicht für Steuerberater und ähnlich tätige Berufsgruppen eingeführt. Im Rahmen der Erstellung von Jahresabschlüssen, haben Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer nun eine Hinweispflicht.
Darüber hinaus wird erwartet, dass steuerberatende Berufe, Geschäftsführer/ Vorstände auf die Pflicht von Gesellschafterversammlung oder Hauptversammlung bei Insolvenzreife des Mandantenunternehmens aufmerksam machen. Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer werden als sachverständig gesehen und sind aufklärungspflichtig.
Standard für Fortbestehensprognose entwickelt
Auf Basis der nun geänderten, aktuellen Rechtsprechung zur Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO und zur Fortführungsfähigkeit einer Kapitalgesellschaft i. S .d. § 252 Abs. 1, Ziff. 2 HGB sowie in Anbetracht der Wirkung des BGH-Urteils hat unser Haus einen Standard in Anlehnung des IDW S11 zur Erstellung von Fortbestehensprognosen entwickelt.
Bei der Fortbestehensprognose (Zahlungsfähigkeitsprognose) handelt es sich um eine Zukunftsprognose aus aktueller Sicht. Besonderes Augenmerk wird auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit, also die zukünftige Zahlungsfähigkeit des Unternehmens gelegt.
Die erarbeitete Fortbestehensprognose in ihrer Funktion als Ausweis der Zahlungsfähigkeit dient als Entlastungszertifikat für Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer zur Haftungsvermeidung bei bilanzieller Überschuldung.
Um eine direkte Hilfe im Umgang mit Mandanten geben zu können, die eine bilanzieller Überschuldung aufweisen, haben wir zwei Musterschreiben als Arbeitshilfe erstellt. Beide Musterschreiben sowie die entsprechenden Anlagen (Hinweise auf handels- und insolvenzrechtliche Handlungspflichten) sollen helfen, bei krisenbehafteten Mandaten die Geschäftsleitung darauf hinzuweisen, welche Pflichten aus der Feststellung der bilanziellen Überschuldung ihres Unternehmens erwachsen.
Pflicht zur Plausibilitätsprüfung durch den Steuerberater
Eine Fortbestehensprognose der Geschäftsleitung/ Geschäftsführung darf der Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer dann ungeprüft zugrunde legen, wenn diese nicht offensichtlich untauglich ist. Der Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer darf nicht an offensichtlich unzulässigen oder untauglichen Darstellungen mitwirken.
Es empfiehlt sich daher, die Fortbestehensprognose durch professionelle Dritte erstellen zu lassen, um die Unterstellung einer möglichen Befangenheit aufgrund der Nähe zum Mandanten (Gefälligkeitsgutachten) zu vermeiden.
Fazit
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer sind aufgrund der bilanziellen Situation am ehesten in der Lage, Geschäftsführungen und Gesellschafter darauf hinzuweisen, dass bereits jetzt Maßnahmen eingeleitet werden müssen, die das Unternehmen vor weiterer Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage und/ oder weiterer Erhöhung der Zinsen krisensicher schützen.
Neben Umstrukturierung und Restrukturierung von Unternehmen sind außergerichtliche Sanierungsmaßnahmen zu prüfen und es ist zu überdenken, ob ein eigenverwaltetes Insolvenzverfahren eine sinnvolle Alternative ist.
Sprechen Sie uns zu diesem Thema gerne an, wenn Ihnen bei der Prüfung der Bilanzen Ihrer Mandanten mögliche Probleme auffallen.
Autoren : S. Frank | T. Uppenbrink
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